Richard Mergner: Vorsitzender des Bundes Naturschutz will Energiekrise ohne Kernenergie meistern

MÜNCHEN


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06.04.2018, Bayern, München: Richard Mergner, Landesbeauftragter des BUND Naturschutz (BN), nimmt an einer Pressekonferenz zum Thema Skischaukel Riedberger Horn teil. Bei einem Treffen mit Befürwortern und kommunalen Vertretern hat der bayerische Ministerpräsident Söder in der Staatskanzlei zuvor über das sich nun überraschend abzeichnende Ende des Bauprojektes beraten. Foto: Sven Hoppe/dpa ++ +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: Sven Hoppe


Der Kli­ma­wan­del und der Krieg in der Ukrai­ne ma­chen ei­ne Wen­de in der En­er­gie­ver­sor­gung un­um­gäng­lich. Un­se­re Münch­ner Re­dak­ti­on sprach mit dem Vor­sit­zen­den des Bun­des Na­tur­schutz (BN) Ri­chard Merg­ner (Fo­to:


Sven Hoppe/dpa) über die Pläne für LNG-Terminals in Deutschland, Vorschläge Kernkraftwerke länger in Betrieb zu lassen und die Energie-Ersparnis von einem Grad Raumtemperatur weniger.

Herr Mergner, verstehen sich Bund Naturschutz und Grüne noch so gut wie vor der Ukraine-Energie-Krise?

Wir sind überparteilich und daher freuen wir uns, wenn Parteien wie die Grünen unsere Ziele und Positionen umsetzen. Was die Energiewende angeht, sind wir in vielen Punkten deckungsgleich: Wir brauchen Energiesparen, Energieeffizienz und den massiven Ausbau naturverträglicher erneuerbarer Energien vor allem in Bayern.

Was halten Sie von den Plänen des Bundeswirtschafts- und -klimaschutzministers Habeck, LNG-Terminals unter anderem ins Wattenmeer zu bauen und vorübergehend Strom mit Kohle zu erzeugen? Tragen Sie das mit?

Wir finden es sehr positiv, dass Klimaschutzminister Habeck endlich einmal klar sagt, alle müssen Energie sparen. Und wir können das auch, nicht nur jeder einzelne, sondern auch die Wirtschaft. Damit wir unabhängig von Gas, Öl und Kohle oder auch Uran aus diktatorischen Staaten werden. Unserer Meinung nach – auch unseres Bundesverbandes BUND – braucht es dazu keine zusätzlichen LNG-Terminals im Wattenmeer. Es gibt ja bereits Gasterminals zum Beispiel in Italien. Wir wollen »Vollgas« für erneuerbare Energien aus Wind, Sonne und Biomasse. Wir wollen massives Energiesparen statt weiterhin fossile Abhängigkeit. Letzteres würden diese Gasterminals bedeuten.

Sind Sie der Meinung, dass man auf die Energie aus Russland – vor allem Erdgas – rasch verzichten kann?

Mit einer radikalen Energieeinsparung, die wir seit Monaten fordern, vom Tempolimit bis autofreien Sonntagen, mit Pullover statt T-Shirt im Winter, mit reduzierten Temperaturen in Wohnungen und mit dem, was auch in der Industrie an Effizienz noch möglich ist, können und müssen wir möglichst schnell aus der russischen Gasversorgung aussteigen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, aber man muss es wollen.

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck meint offenbar, dass das so einfach nicht ist, sonst würde er sich nicht zum Beispiel in Katar um Energielieferungen bemühen und LNG-Terminals planen. Haben Sie denn gar keine Sorgen, dass wir uns massiv schaden könnten?

Natürlich kann ich diese Sorgen nachvollziehen. Sie sind das Resultat der vergangenen zehn Jahre, als die Bundesregierung unter Unionsführung die Energiewende nicht nur verschlafen, sondern blockiert hat. Jetzt stecken wir in den Abhängigkeiten drin. Wir glauben mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dass wir mit Einsparungen und Produktionsverringerungen in entscheidenden Industrien die Wende meistern können. Und zwar schneller als gedacht und ohne neue Gasinfrastruktur aufzubauen.

Sie sprechen so leichthin von »Produktionsverringerungen«. Bedeutet das nicht Massenarbeitslosigkeit und Wohlstandsverlust in großem Maßstab?

Wir haben eine Wirtschaft, die auf Raubbau und Energielieferungen aus diktatorischen Regimen beruht. Wir müssen also ohnehin massive Veränderungen vornehmen. Gemeinsam mit Greenpeace haben wir in unserer Studie »Zukunftsfähiges Bayern« gezeigt, dass wir mit der Umstellung auf Energiesparen und Energieeffizienz inklusive Klima- und Naturschutzmaßnahmen bis 2030 etwa 340.000 neue Arbeitsplätze schaffen können. Es ist klar, dass in einzelnen Bereichen Arbeitsplätze verloren gehen. Wenn etwa in der Produktion von großen schweren SUVs Arbeitsplätze verloren gehen, dann ist das gut. Wir brauchen autonom fahrende Busse, mehr Fahrräder, aber auch Züge und Elektrifizierungen. Da werden überall Arbeitsplätze geschaffen und andere Bereiche werden schrumpfen müssen.

Die »Fachagentur Windenergie« hat ermittelt, dass vor allem Naturschutzverbände prozessual gegen die Errichtung von Windrädern vorgehen. Wie passt das zusammen?

Ich kann nur für den Bund Naturschutz in Bayern sprechen. In der Vergangenheit haben wir keine einzige Windkraftanlage in Bayern beklagt. Im Gegenteil haben wir in vier Bürgerentscheiden immer massiv für Bürgerenergie und Windkraftanlagen geworben und auch Mehrheiten erreicht. Demgegenüber haben Ministerpräsident Söder und die CSU die Windkraft über zehn Jahre diffamiert und mit der 10H-Abstandsregelung nahezu ins Aus getrieben.

Und wie ist das mit Wasserkraftanlagen?

Wir stellen uns schützend vor frei fließende Flüsse in Bayern. Da haben wir schon einmal geklagt. Wir sind für die Effizienzsteigerung der großen Wasserkraftwerke statt unnötiger Kleinstanlagen.

Energie aus erneuerbaren Quellen muss auch gespeichert werden für den Fall der »Dunkelflaute« oder Spitzenverbrauchszeiten. Mit Speicherseen können Sie sich aber nicht anfreunden?

Wir haben schon Pumpspeicherkraftwerke, die im Grunde Stromvernichtungswerke sind. Daher brauchen wir Batteriespeicher und Speicher, die Strom in Wärme verwandeln. Zum Beispiel gibt es in Nürnberg die »Große Thermoskanne«. Die Stadtwerke Haßfurt stellen aus Windstrom Wasserstoff her, der gut gespeichert werden kann. Pumpspeicherwerke sind nicht die Antwort auf die Dunkelflaute, die übrigens nur an wenigen Tagen des Jahres eintritt.

Die Kernenergie ist bei Ökonomen beliebt, weil sie grundlastfähig ist, also auch dann Strom liefert, wenn Wind und Sonne nichts bringen. Warum bricht den Naturschützern ein Zacken aus der Krone, wenn etwa Söder fordert, die letzten Meiler noch etwas länger laufen zu lassen, um etwas mehr Versorgungssicherheit zu haben?

Atomkraft ist generell lebensgefährlich, teuer und produziert Atommüll, für den wir keine sicheren Lagermöglichkeiten haben. Mit Atomstrom wird bei uns kein russisches Gas oder Öl ersetzt. Wir brauchen Energieeffizienz und Stromeinsparungen. Wir exportieren ja Strom…

…aber nur zu den Zeiten, in denen wenig verbraucht wird, zu anderen Zeiten muss zugekauft werden.

Die so genannte Grundlastfähigkeit entspringt aus einem Denken der alten Stromwelt. Wir haben inzwischen erneuerbare Energien, die zu unterschiedlichen Zeiten da sind. Biogasanlagen produzieren Strom, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Wir haben die Möglichkeit, in Wasserstoff umgewandelte Überschüsse wieder in Strom und Wärme zurück zu verwandeln. Die Atomkraft ist auch in der jetzigen Krise keinerlei Hilfe. Im Jahr 2021 haben wir per Saldo aus Deutschland mehr Strom exportiert als importiert.

Ist es denn falsch, wenn Söder sagt, in der jetzigen angespannten Lage werde »jedes Fitzelchen Energie« benötigt, also auch aus Atom- und Wasserkraft?

Ja, das ist nicht richtig. Söder müsste jetzt alles tun, um mit Energie effizient umzugehen. Er müsste der erste sein, der für ein Tempolimit eintritt. Er und die CSU hätten verhindern müssen, dass jetzt das Tanken billiger gemacht wird. Er hätte dafür sorgen müssen, dass 10H sofort abgeschafft wird und nicht nur ausnahmsweise. Selbst die Betreiber lehnen ein Weiterlaufen der Atommeiler ab. Wasserkraft an Kleinflüssen ist ein Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen, das uns in diese Situation geführt hat.

Ist es aber nicht auch ein Ablenkungsmanöver, wenn Sie den Strom für das Chemiedreieck oder Autofabriken in Ingolstadt und Niederbayern mit Strom aus Biomasse betreiben wollen?

Kürzlich hatten wir ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden von Wacker-Chemie und freuen uns darüber, dass Wacker-Chemie im Landkreis Altötting 40 Windkraftanlagen errichten will und nicht länger sagt, wir möchten möglichst billig Strom haben, sonst gehen wir ins Ausland.

Der Bau von Windkraftanlagen dauert selbst bei beschleunigter Genehmigung Jahre. Und in der Zwischenzeit müssen Fabriken stillgelegt und in Wohnungen gefroren werden?

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat alles durchgerechnet und kommt zu dem Ergebnis, dass wir noch erhebliche Spar- und Effizienzpotenziale haben, um nicht zu frieren. Wobei es niemanden überfordert, wenn er im Winter nicht im T-Shirt, sondern im Pullover in der Wohnung rumläuft. Schon ein Grad Raumtemperatur weniger spart sechs bis sieben Prozent an Primärenergie ein.

RALF MÜLLER

Hintergrund

» Söder müsste jetzt alles tun, um mit Energie

effizient umzugehen. «

Richard Mergner, BN-Vorsitzender

Hintergrund

» Wasserkraft an Kleinflüssen ist ein Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen. «

Richard Mergner, BN-Vorsitzender

Hintergrund

» Ein Grad Raumtemperatur weniger spart sechs bis sieben Prozent an Primärenergie. «

Richard Mergner, BN-Vorsitzender


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